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Corporate Newsroom - It's about people stupid!

Newsroom-Konzepte in unterschiedlichen Reifegraden werden mehr und mehr zum Standard in zeitgemäß aufgestellten Kommunikationsfunktionen. Nach den Zahlen des Reports Kommunikations-Management 2018[1] verfügten 19 Prozent der Unternehmen über einen Newsroom, Tendenz stark steigend. Bei der Motivation Newsrooms einzuführen stehen die Geschwindigkeit und Aktualität ganz oben, gefolgt von der Konsistenz der Botschaften und dem generellen Wunsch nach Digitalisierung[2].

Große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Spiegelbildlich ist das ein Hinweis, woran es in den immerhin noch rd. 80% der Organisationen anscheinend mangelt. Überspitzt gesagt, steht man sich selbst im Wege, Silos in der Organisation erfordern zu lange Abstimmungen und führen am Ende doch zu einer Verbreitung von inkonsistenten Botschaften. Niemand sollte leichtfertig den Stab darüber brechen oder allzu selbstbewusst vertreten, das könnte uns nicht passieren. Es besteht absolut Grund zu der Annahme, dass die überspitzte Zustandsbeschreibung mehr die Realität in deutschen Kommunikationsabteilungen beschreibt, als das Zielbild, nämlich schnell und hoher Aktualität konsistent über alle Kanäle hinweg zu kommunizieren.

Super busy aber immer als Zweiter im Ziel

Bleiben wir einen Moment bei den traditionellen Strukturen, die nach wie vor in der großen Mehrheit der Organisationen existieren. Während sich die Außenwelt mit der Explosion von Social Media und fragmentierten Medienlandschaften fundamental verändert hat, Organisationen über Owned Media zu Publishing Houses und alle Mitarbeiter*innen zu Sendern geworden sind, verharren Kommunikationsfunktionen in audience-orientierten Strukturen, in der die Pressemitteilung und die Mitarbeiterzeitung weiterhin als Gold-Standard gelten. So kann es natürlich nicht funktionieren, denn Doppelarbeiten, gegenseitiges Misstrauen, vor allem auch zwischen Marketing und Kommunikation, die Unfähigkeit, schnell in unterschiedlichsten Formaten auf allen Kanälen zu agieren, kennzeichnet den Alltag. Es ist das verstörende Gefühl, super busy zu sein und doch immer abgehetzt als zweiter oder gar nicht ins Ziel zu kommen.

Der Newsroom startet nicht am Trapeztisch

Es ist der Moment, wo Unternehmen über Newsrooms nachzudenken beginnen und schon mal im Prospekt des Möbelausstatters nach dem schicken Trapeztisch für den künftigen Newsroom Ausschau halten. Wer so startet, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Enttäuschung auf ganzer Linie erleben. Die Erwartungen können nicht erfüllt werden. Es lohnt sich deshalb noch mal auf die Treiber für die Newsroom-Einführung zu schauen, also Geschwindigkeit, Aktualität und Konsistenz an vordersten Stellen. Zu fragen ist also, welche Fähigkeiten muss eine Organisation erlangen, welche Rahmenbedingungen muss sie schaffen, um diese Ziele zu erreichen.

Klar, die Infrastruktur spielt eine Rolle. Abstimmungsprozesse erhöhen mit jeder geschlossenen Bürotür ihre Komplexität wie umgekehrt ein gut gemachter Open-Space, die Barrieren für eine Klärung „auf dem kurzen Dienstweg“ reduziert. Redaktionsplanungssysteme, wohlmöglich gemeinsam genutzt mit anderen Unternehmensfunktionen, erhöhen die Transparenz über die Planung und erhöhen die Chance, Botschaften zu vereinheitlichen und auf mehr Kanälen auszuspielen. Prozesse, wie eingespielte Freigaberoutinen, die Verankerung von Rollen und Verantwortlichkeiten und unterstützende Meeting-Strukturen sind essenziell. Auf der Output-Ebene die vollständige Transparenz über bestehende Kanäle, ihre Zielgruppen, Tonalität, Frequenzen herzustellen, ebenso wie eine holistisch angelegte Stakeholder-Map, gehört zum guten Handwerk. Es ist quasi die „Pflicht“ in einem sauber aufgesetzten Newsroom-Projekt. Anspruchsvoll genug, aber nicht wenige Projekte, erfüllen nicht annähernd die Erwartung des Managements (oder auch der Mitarbeitenden), weil das Handwerk eben nicht gut genug geplant und/oder ausgeführt wurde.

Die menschliche Komponente wird regelmäßig unterschätzt

Was regelmäßig völlig unterschätzt wird – meine eigenen Erfahrungen – eingeschlossen, ist die „menschliche Komponente“ bei der Einführung und im Betrieb von Newsrooms. So erweist sich z.B. die theoretisch sinnvolle klare Trennung zwischen Themen- und Kanalverantwortlichen als in der Praxis kaum durchführbar. Wenn sich nämlich Kanalverantwortliche sich auf das Posten von Inhalten reduziert fühlen, sorgt das nicht für Zufriedenheit. Unlängst habe ich auf LinkedIn einen Beitrag veröffentlicht, der die Erfolgsfaktoren für den Betrieb eines Newsrooms in Corona-Zeiten thematisiert. Neben Transparenz und Agilität als Ergebnis - überwiegend basierend auf guter handwerklicher Arbeit -kommt es auf die Selbststeuerungsfähigkeit und -bereitschaft des Teams an. Diese fallen aber nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis eines umfassenden Change-Prozesses. Er startet auf der Ebene von persönlichen und Unternehmenswerten, beinhaltet eine „Purpose“-Findung, die das Team darauf kalibriert, mit welchem Anspruch die Kommunikation in der Organisation antritt und mündet in ein verinnerlichtes Mission-Statement. Wer diesen Weg als „Gedöns“ abtut, hat schon verloren. Funktionierende Corporate Newsrooms zeichnen sich gegenüber dem „Newsroom Light“ oder gar gegenüber traditionellen Strukturen durch Eigenverantwortlichkeit, Offenheit und Flexibilität aus. Eigenschaften und Fähigkeiten also, „Softskills“[3] also die oft erst auf der Verhaltensebene entwickelt werden müssen. Wo das so gelebt wird, ist es in Corona-Zeiten auch einerlei, ob der Trapeztisch (sofern er denn existiert) verwaist ist. Ein so aufgestelltes Team funktioniert auch komplett virtuell und im Zweifel auch ohne Chef[4].


Der Beitrag wurde im PR-Magazin/Verlag Rommerskirchen 04.2021 zuerst veröffentlicht.

[1] Kommunikationsmanagement 2018, Vermessung eines Berufsstand, S.111, Günter Bentele, René Seidenglanz, Ronny Fechner, Herausgeber: Bundesverband deutscher Pressesprecher, Berlin

bdp-studie_kommunikationsmanagement_2018.pdf (bdkom.de)

[2] Communications Insights #6, Akademische Gesellschaft für Kommunikation und Unternehmensführung; S. 16, Leipzig, 2019

[3] Communications Insights #6, a.a.O, S. 22f,

[4] Thomas Mickeleit war bis Oktober 2020 Kommunikationschef von Microsoft Deutschland. Die Position wurde erst nach sieben Monaten zum 1.6.2021 neu besetzt.

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